Leseprobe Al dente

Buchreihe: Immer wieder Italien

Band 4: Al dente

Autorin: Renate Konrad

 

Verwöhnt und vergiftet

 

… Ein anderer toskanischer Küstenabschnitt hatte unser Interesse geweckt. Und zwar die Küste von Castiglioncello, die wir allerdings nur von Fotos kannten: oben rosafarbene Prachtbauten, am Fuße der Steilküste ein Strand, überall viel Grün. Ausgerechnet der Tag, an dem wir den Ausflug nach Castiglioncello geplant hatten, war trübe. Der erste Tag ohne Sonne, seit wir in der Toskana unterwegs waren. Wir waren uns nicht sicher.

»Was meinst du? Lohnt sich das?«

»Ach, was soll‘s, schwimmen wollen wir ohnehin nicht.«

 

Wäre auch nicht möglich gewesen. Als wir den Strand erreichten, wurde der Himmel zusehends schwärzer. So kündigte sich ein heftiges Unwetter um elf Uhr morgens an. Außer der Bedienung in der Cafeteria des Strandbades war weit und breit nur eine weitere Person zu sehen. Nämlich ihr Mann, der in Windeseile alle Liegestühle und Sonnenschirme in Sicherheit zu bringen versuchte. Und dabei hatte er die gerade vor ein paar Stunden noch voller Optimismus aufgestellt. Und anschließend den Sand geharkt, wie sich das in Italien gehört.

Nach dem Kaffee im Strandbad sahen wir zu, dass wir zum Auto kamen, denn das Gewitter konnte jeden Moment losgehen. Den ersten Wolkenbruch überstanden wir im Auto. Der zweite wollte gar nicht aufhören. Deswegen beschlossen wir, auszusteigen und uns in eine Bar zu setzen. Inzwischen waren wir nämlich in einem Dorf angekommen.

 

In der ungemütlichen Bar wurden wir weder trocken noch fröhlicher. Als sich der Regen etwas normalisierte, verließen wir die Bar und fuhren ins Landesinnere. Ziellos. Bis wir uns in einer Landschaft befanden, die uns an Bayern erinnerte. In der Ferne konnten wir schon die Berge der Apuanischen Alpen sehen. Um den Tag zu retten, beschlossen wir, ausnahmsweise mal mittags warm zu essen. Und kehrten bei einem Landgasthof ein.

Der war ziemlich schlecht besucht. Nur wenige Tische besetzt. In einem riesigen Raum. Die rustikale Einrichtung verriet die Nähe der Berge. Sie lieben dort viel Holz und die Gemütlichkeit schummeriger Räume. Dieser war ziemlich verwinkelt, also konnten wir uns eine Ecke suchen, in der wir nicht gleich auffielen, nass und unansehnlich, wie wir waren. Dort saßen wir gut. Aus der Küche nebenan kam ein wenig Wärme, und unseren Teil des Lokals hatten wir im Blick. − Leute gucken.

 

Wir bestellen meistens zwei Gänge, auch wenn es uns manchmal zu viel ist. Aus strategischen Gründen bleiben wir dabei, denn wir wollen unseren Restaurantbesuch möglichst lange ausdehnen. Je länger wir dort sitzen, desto mehr füllt sich das Restaurant, und unser Abendprogramm ist gerettet.

An diesem Mittag ging es uns ebenfalls darum, so lange wie möglich zu bleiben. Und bei der Gelegenheit würden wir in dieser touristenfreien Zone gerne toskanische Köstlichkeiten genießen. Die Crostini toscani klangen verlockend. Sie waren unterschiedlich belegt, eins mit Paste aus Hühnerleber und Sardellen, die anderen kamen in unserem Wortschatz nicht vor. Egal: Wir waren soweit, wir konnten bestellen. Als wir von der Speisekarte aufblickten, stellten wir fest, dass wir inzwischen die einzigen Gäste waren. Die Mittagspause der Handelsvertreter und kleinen Grüppchen Kollegen war anscheinend zu Ende.

 

Leider nichts zu gucken, aber auf jeden Fall würden wir lecker essen! Nach einer Weile durchzog jedoch ein strenger Geruch den Raum. Ein beißender, wie Ammoniak. Machten sie jetzt schon sauber? Zählten wir nicht als Gäste? Sollten sie schon bald schließen? Der Geruch wurde unerträglich.

»Der Gestank kommt aus der Küche.«

»Das ist unmöglich. Wenn du mich fragst, ist das Ammoniak!«

»Kann ja sein, aber er kommt echt hier aus der Küche.«

 

Unsere Bestellung wurde serviert, und siehe da: Wir hatten beide recht. Es kam aus der Küche und es roch nach Ammoniak. − Es waren nämlich meine Crostini